Ein paar Ratenkäufe hier, eine Null-Prozent-Finanzierung dort. Kein Problem, denken viele. Doch wenn plötzlich unerwartete Ausgaben, Kurzarbeit oder Trennung dazukommen, wächst der Schuldenberg schnell an. In diesem Jahr sind durch Corona besonders viele Menschen in einen finanziellen Engpass geraten.
Wir fragten Birgit Wagner, Diplom-Sozialpädagogin in der Schuldnerberatung des Caritasverbands, nach ihren Erfahrungen der vergangenen Monate. Mit 56 Neuanfragen war der September der Spitzenreiter in der Statistik der Sozialen Schuldner- und Insolvenzberatung der Caritas. Doch auch im Januar und Februar war die Hilfe der Profis zahlenmäßig auf hohem Niveau gefragt - und damit noch vor der Coronakrise. "Die Probleme der Ratsuchenden sind sehr vielschichtig", schildert Birgit Wagner aus ihrer täglichen Beratungspraxis. Hauptgrund sei letztlich die Zahlungsunfähigkeit der Betroffenen. "Doch meistens liegen noch viele weitere Probleme vor, wie zum Beispiel familiäre Konflikte, seelische Erkrankung, Sucht oder schlichtweg Überforderung." Minijob-Verlust und Kurzarbeit sind oft Thema
Bei längerfristig angelegten Beratungen könnten diese komplexen Themen erörtert werden. Bei Neuanfragen sei es hingegen wichtig, erst einmal die dringendsten Konflikte zu erfragen und rasche Hilfen zu ermöglichen. "Manche Ratsuchenden können anfangs ihre Problemlage gar nicht konkret schildern", so die Sozialpädagogin. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt, um die Wurzel der Not aufzuspüren. Fest steht: Die Themen Kurzarbeit und Wegfall eines Minijobs haben in jüngster Zeit mehr Raum als gewöhnlich eingenommen. "Viele waren oder sind von Kurzarbeit betroffen und haben Angst, dass der Arbeitsplatz verloren gehen könnte." Und auch der Verlust eines Minijobs könne großen Schaden anrichten. "Denn gerade dieser Zuverdienst stabilisiert häufig die finanzielle Haushaltssituation." Darüber hinaus seien Informationen über Pfändungsschutz, Insolvenzverfahren und Haushaltsberatung sozusagen Dauerbrenner in der Beratung.
Wenn jemand Hilfe bei der Caritas sucht, ist im Vorfeld meistens schon einiges passiert. Birgit Wagner nennt Beispiele: drohende Vollstreckungsmaßnahmen, Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft, ständige Anrufe und Anschreiben von Inkassofirmen und Überforderung bezüglich aller Ratenzahlungen. Oft ist die Zahlung von Miete und Strom gefährdet. Spätestens dann rufen Betroffene verzweifelt bei der Schuldnerberatung an. In diesem Jahr ist auch noch die Coronakrise dazugekommen. "Das wird wohl noch länger ein Thema für uns bleiben", ist Birgit Wagner überzeugt. Sie rechnet mit weiter steigenden Anfragen in den kommenden Monaten. "Erfahrungsgemäß machen sich die Auswirkungen der coronabedingten finanziellen Krise erst verzögert bei den Betroffenen bemerkbar." Ebenso geht sie davon aus, dass auch mehr ehemalige Selbstständige den Kontakt aufnehmen werden.
Während des ersten Lockdowns konnten Beratungen nur schriftlich, telefonisch oder online durchgeführt werden. Seit Mitte Mai ist das Büro an der Oberen Bachstraße wieder geöffnet. "Allerdings erfolgen persönliche Kontakte nur nach Terminvereinbarung und Einhaltung aller bestehenden Schutzvorschriften." Dabei sei es manchmal durchaus mit nur einem Gespräch getan, in anderen Fällen wiederum müsse ein Insolvenzverfahren über längere Zeit begleitet werden. Meistens bleibe der Kontakt zwischen fünf Monaten und einem Jahr bestehen. Schuldenberg im Schnitt bei 56 000 Euro Zum Stichtag 23. November waren rund 33 Prozent der Schuldner allein lebend, circa 14,5 Prozent Paare ohne Kinder und rund 36 Prozent Haushalte mit Kindern, darunter sowohl Familien als auch Alleinerziehende. Die restlichen Prozent verteilen sich unter anderem auf Wohngemeinschaften, Einrichtungen oder andere Wohnformen. Aufhorchen lässt die durchschnittliche Überschuldungssumme: rund 56 000 Euro. Die durchschnittliche Gläubigerzahl liegt bei 19. Verständlich, dass die Betroffenen es aus eigener Kraft nicht schaffen, aus den Miesen herauszukommen. Die Experten der Caritas machen es möglich, wieder ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen: "In der Regel können immer Lösungen gefunden werden, die entweder eine Entschuldung - zum Beispiel durch Privatkonkursverfahren - oder auch das Leben mit Schulden ermöglichen."
Straubinger Tagblatt 02.12.2020