An diesem Sommertag im August kommt Marion W. (Name geändert) aufgelöst in das Büro von Michael Born, Sozialberater bei der Caritas in Straubing. Wie so oft braucht sie seine Hilfe. Dabei geht es ums Geld. Das Thema "Armut im Alter" begleitet sie täglich im Leben. Die 69-Jährige aus Straubing bekommt seit vier Jahren 670 Euro Rente und 260 Euro Grundsicherung für Nichterwerbsfähige. "Ich muss mir mein Geld gut einteilen, damit es bis zum Ende des Monats reicht" sagt sie. Obwohl sie fast ihr ganzes Leben lang gearbeitet hat, musste sie sich zwischenzeitlich mit 1-Euro-Jobs vom Arbeitsamt über Wasser halten, daher die niedrige Rente. Einmal pro Jahr muss der Antrag auf Grundsicherung bewilligt werden. Marion W. wartet seit Anfang Juli auf eine Antwort, hat in dieser Zeit kein Geld bekommen und ist nun vors Sozialgericht gegangen. An diesem Sommertag kommt sie aus Landshut, der Termin wurde verschoben, sie war umsonst dort. Für andere eine Lappalie, für sie eine Katastrophe. Denn auf den Anreisekosten von rund 50 Euro bleibt sie sitzen. Geld, das sie eigentlich für andere Dinge braucht. Im Gespräch erzählt sie, dass bei Terminen bei Ämtern oder beim Gericht ihr oft wenig Verständnis entgegenkomme. "Ich kann doch nichts für meine Lage", bricht es stockend aus ihr heraus, ehe sie schluchzend zusammensinkt.
Sozialberater Born bringt ihr einen Kaffee, versucht sie zu trösten. Der 62-Jährige arbeitet seit 15 Jahren bei der Caritas und ist zwei Mal in der Woche als Berater für Betroffene da. Schicksale wie diese sieht er wöchentlich. "Besonders schlimm war es, als ein Kleinkind gestorben ist und dessen Eltern die Bestattungskosten beantragen mussten. Solche Schicksale sind schon heftig und berühren mich immer wieder", sagt er.
In der Woche hat er meist sechs bis acht Termine, hinzukommen drei bis fünf Ratsuchende ohne Termin und zahlreiche Telefonate. "Die Zahl der Ratsuchenden hat in den letzten Jahren stetig zugenommen", sagt Born. Armut betreffe alle Altersgruppen. In den vergangenen Jahren sei die Zahl der Besucher in seiner Sprechstunde stetig gewachsen. Vor allem Frauen kommen zu Born. "Bei Männern ist die Schamgrenze da höher, die wollen über Armut nicht so gerne sprechen", erklärt er .Bescheide sind für viele "böhmische Dörfer"
Eine Ausnahme ist der 57-jährige Hans P. (Name geändert) aus Straubing. Er kann nicht Vollzeit arbeiten, sein Körper macht nicht mehr mit. Er bekommt monatlich 687 Euro Rente. "Ich würde gerne arbeiten, aber niemand stellt mich ein", erzählt er. Grund sei, dass er nur drei Stunden am Tag arbeiten kann und nicht mehr als 25 Kilogramm heben dürfe. Daher ist er ehrenamtlich Schulweghelfer, vom Jobcenter wird ihm diese Arbeit mit sechs Euro pro Stunde angerechnet. Zu Schulzeiten hat er so circa 200 Euro monatlich mehr. Während der Sommerferien beantragt er Arbeitslosengeld II, teilweise dauert es einige Wochen, bis die Auszahlung bewilligt wird. Probleme wie diese begegnen Born in seiner Arbeit immer wieder.
"Bei mir in der Beratung ist eine Frau, die vier Wochen lang versucht hat, beim Jobcenter einen Termin zu bekommen, damit die ihr einen Bescheid erklären", erzählt er. Am Ende ist er ihn mit ihr durchgegangen. Für die meisten seien solche Bescheide "böhmische Dörfer". Auf Nachfrage bestreitet das Jobcenter Straubing-Bogen, dass es solche Wartezeiten gäbe: "Termine werden sehr zeitnah vergeben, in der Regel ein bis maximal zwei Wochen, in der Haupturlaubszeit kann es gegebenenfalls zu längeren Wartezeiten kommen." Trotzdem könne man als Betroffener rechtzeitig seine Anträge abgeben.
"Viele rechnen nicht damit, dass es eines Tages sie treffen könnte", erklärt der Sozialberater. Vor allem Menschen, die ein Leben lang in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet haben, bekommen im Alter eine geringe Rente und müssen Sozialleistungen beantragen. Auch plötzliche Krankheiten können in die Armut führen.
"Ich kann nichts an meiner Lage ändern", erklärt Hans P. und lächelt aufmunternd so wie er es die ganze Zeit schon tut. Sparen könne er nichts. Er sei aber auch nicht traurig, dass er nicht in den Urlaub fahren kann: "Bayern ist auch schön und ich habe Familie in Baden-Württemberg. Ein Besuch dort ist fast wie Urlaub. "Sein einziger Wunsch: eine Familie. Derzeit wohnt er nämlich allein mit seinem erwachsenen Sohn in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Die liegt im Keller und die Miete wurde vor Kurzem um 70 Euro erhöht. "Ich habe schon mal nach einer anderen Wohnung geschaut, aber wenn mein Sohn mal auszieht, muss ich die Kosten allein stemmen können." Trotzdem hat er keine Angst vor der Zukunft.
Marion W. war noch nie in ihrem Leben im Urlaub - immer hat das Geld gefehlt. "Mein Traum ist es, Schlösser und Burgen anzuschauen", sagt sie. Wieder kommen ihr die Tränen: "Der Traum wird wohl nie in Erfüllung gehen." Dafür erhielt sie Ende August ihren Wohngeldbescheid. Ein Lichtblick am Existenzminimum.
von Annabel Gruber
Straubinger Tagblatt 16.09.2023