30 Jahre Schuldnerberatung der Caritas
Durchschnittliche Schulden bei 42 000 Euro
Die ersten Anfragen gibt es bereits, ob Corona-Soforthilfen vom Staat oder Bonuszahlungen für Pflegekräfte vor Pfändung geschützt sind. Der ganze Umfang der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise werde aber wahrscheinlich erst zum Jahresende sichtbar, sagt Birgit Wagner. Die Sozialpädagogin arbeitet in der Schuldnerberatungsstelle der Caritas. Wie ihre Kollegen hält sie noch mehr Nachfrage für wahrscheinlich, wenn Kleingewerbe-Treibende sowie von Arbeitslosigkeit und langer Kurzarbeit Betroffene in Zahlungsschwierigkeiten kommen.
Auch in diesen Monaten des Shutdowns war die Beratungsstelle für ihre Klienten da. Vor allem telefonisch, digital (seit 2010 gibt es eine Onlineberatung) und auf dem Postweg. "Es war viel umständlicher als im persönlichen Kontakt", sagt Birgit Wagner. Schließlich müssten Dokumente und Unterlagen mehrfach geprüft und damit hin- und hergeschickt werden. Da sei man auf enge Zusammenarbeit mit den Klienten angewiesen. "Bei manchen klappte es gut", sagt sie. Die Voraussetzungen seien aber sehr unterschiedlich. Es gibt sprachliche Barrieren, Überforderung im Umgang mit Behördenschreiben und Formularen oder es fehlt schlicht der Zugang zu einem Computer.
Ab dieser Woche wieder persönliche Beratung
Ab dieser Woche geht die Beratungsstelle auch wieder in persönlichen Kontakt über.
Mit vielen Vorkehrungen: Vereinbarten Terminen, auf Abstand im Büro, mit Mund-Nase-Schutz, Desinfektion... Möglichst sollen nur eine oder zwei Personen aus dem gleichen Haushalt präsent sein.
Wie geht man mit Risikogruppen um? Viel zu bedenken für die Schuldner-Beratung in Coronazeiten. Dabei sind im 30. Jahr des Bestehens dieser Einrichtung die Herausforderungen auch ohne Corona groß. Beratung und Betreuung würden immer zeitintensiver, sagt Birgit Wagner. Sie nennt Sprachbarrieren, die Zunahme psychischer Erkrankungen und brüchige Lebenswelten in Beruf und Beziehungen. Die Digitalisierung, Fluch und Segen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs kämen noch hinzu.
2019 wurden im Rahmen der Schuldner- und Insolvenzberatung 283 Hilfesuchende begleitet, oft über Monate und Jahre. Monatlich gab es durchschnittlich 31 Neuanfragen. Diesen Klienten hilft die Beratungsstelle mit einer ersten Analyse und mitunter dringlichen Existenzsicherungsmaßnahmen bei drohendem Wohnungsverlust, Stromsperre oder Zwangsvollstreckung.
Die Wartezeit für eine langfristige Beratung liegt bei etwa sechs Monaten. In 47 Fällen konnte durch eine einmalige Beratung weitergeholfen werden. 1 337 Beratungskontakte bilanziert die Einrichtung 2019 insgesamt. Durchschnittlich 31 Neuanfragen pro Monat 49 Prozent der Ratsuchenden bezogen ihre Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit. Das sind 7,65 Prozent mehr als im Jahr davor. 41 Prozent lebten von Rente und Sozialleistungen. 9,89 Prozent waren sogenannte Aufstocker, die wegen ihres geringen Lohns oder Rente auf aufstockende Sozialleistungen angewiesen sind, bilanziert Birgit Wagner. Vielen Klienten macht "schwer bezahlbarer Wohnraum" zu schaffen. Die Beratungsstelle hat dazu eine Statistik geführt. Demnach mussten Familien mit Kindern oft die Hälfte ihres Einkommens für Miete berappen. Tendenz steigend. Zahl der Gläubiger ist gestiegen In rund 36 Prozent der Haushalte lebten Kinder. Sieben Prozent der Ratsuchenden waren Alleinerziehende. Die Zahl der Einpersonenhaushalte und Paare ohne Kinder nimmt zu. Das Gros der Schuldner (43 Prozent) gehört der Altersklasse von 31 bis 50 Jahren an. 2019 gab es bei den 51- bis 60-Jährigen einen Zuwachs von acht Prozent. Die durchschnittliche Schuldensumme lag bei 42 019 Euro, vor fünf Jahren lag sie noch bei 59 000 Euro. Gestiegen ist allerdings die Zahl der Gläubiger, die bei durchschnittlich 18 liegt (vor fünf Jahren waren es 15). Den Anstieg bei der Gläubigerzahl führt die Beratungsstelle auf Schulden bei Ämtern, Behörden, im Onlinehandel und bei Telekommunikations-Unternehmen mit jeweils geringerer Schuldenhöhe zurück. Dicht gefolgt von Banken, Inkassobüros und Versicherungen.
Die Gründe für Überschuldung seien vielfältig, sagt Birgit Wagner. Die wichtigsten Auslöser sind unökonomische Haushaltsführung (Überforderung mit dem Finanzsystem, unangemessenes Konsumverhalten und überschätzte Zahlungsfähigkeit), Krankheit sowie Trennung, Scheidung oder Tod des Partners mit damit verbundener finanzieller Mehrbelastung oder Einkommenseinbußen. Pfändungsschutz und Privatinsolvenz Seit Einführung des Pfändungsschutzkontos 2010 habe die Beratungsstelle 1 297 Bescheinigungen dafür ausgestellt. "Ein nicht unerheblicher Mehraufwand für uns", sagt Birgit Wagner. Der Gesetzgeber habe zwar die Gerichte entlastet, aber nicht für eine bessere finanzielle Ausstattung der bescheinigenden Schuldnerberatungsstellen gesorgt, die die Hauptlast tragen. Nicht nur wegen geringer Arbeitslosenquoten, auch in Folge des Pfändungsschutzkontos sei die Zahl der Verbraucherinsolvenzen (etwa 100 pro Jahr) zurückgegangen - bundesweit.
Wenn ihr monatliches Einkommen so gering ist, dass es unter dem pfändbaren Betrag liegt, sähen viele Überschuldete keine Notwendigkeit, eine Privatinsolvenz anzumelden, ist Birgit Wagners Erfahrung. Derzeit ist eine gesetzliche Änderung beim Verbraucherkonkurs in Vorbereitung. Er dauert bisher sechs Jahre und soll sich künftig nur noch über drei Jahre erstrecken. Neben der Begleitung der Schuldner bemüht sich die Beratungsstelle um Prävention und ist immer wieder in Schulen präsent, um Kinder und Jugendliche zu sensibilisieren. Damit es nicht erst zu einer Überschuldung kommt.
Info
Die Schuldnerberatungsstelle der Caritas wird zu je 40 Prozent von Stadt und Landkreis finanziert, die Caritas erbringt 20 Prozent an Eigenmitteln. Das Team besteht aus einem Sozialpädagogen in Vollzeit, zwei Sozialpädagoginnen mit je einer Halbtagsstelle sowie einer Bankkauffrau mit 30 Wochenstunden. Seit 2009 unterstützt ein Ehrenamtlicher das Team, der jedoch 2019 aus gesundheitlichen Gründen pausieren musste.
Von Monika Schneider-Stranninger
SR Tagblatt 18.05.2020