Bis zum Hals in Schulden. Da kann jemand halt nicht mit Geld umgehen. Oder hat es aus dem Fenster geworfen und maßlos über seine Verhältnisse gelebt. Eine allzu simple Erklärung und schon deshalb an der Realität vorbei. In Einzelfällen mag das sein, aber die allermeisten überschuldeten Klienten von Nicole Eimer und Katharina Reuschl von der Schuldnerberatungsstelle der Caritas haben Lebenskrisen in diese existenzbedrohliche Situation gebracht: Trennung, Tod des Partners, Verlust des Arbeitsplatzes, vor allem aber Krankheit, physisch wie psychisch. Es kann jeden treffen, auch bisher gut Situierte. In der aktuellen Wirtschaftslage sei auch Kurzarbeit vermehrt Thema, ebenso der Verlust des Arbeitsplatzes, so die Erfahrung der beiden. Dazu komme mitunter Naivität, fehlendes Planungsvermögen und schlicht zu wenig Wissen in Geld- und Vertragssachen. Und wenn das Monatseinkommen ohnehin gering ist, sorgt jeder Zwischenfall - ob es die kaputte Waschmaschine oder eine aufwendige Autoreparatur ist - für ein noch tieferes Loch in der Kasse. Nebenbei galoppieren die Kosten für Wohnung und Lebenshaltung davon, kleine Einkommen halten damit nicht Schritt, so die Sozialpädagoginnen. Vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich: Die Zahl an Neuanfragen in der Schuldnerberatungsstelle hat vergangenes Jahr mit 497 den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht.
Die Sozialpädagoginnen Nicole Eimer (l.) und Katharina Reuschl sind zwei der Beraterinnen in der Schuldnerberatungsstelle der Caritas. Sie gaben Einblick in ihre Erfahrungen und Einschätzungen. Foto: Monika Schneider-Stranninger
"Über den Lebensstandard entscheidet nicht mehr nur die Höhe des Einkommens, immer wichtiger werden die Fragen, die viel Geld jemand fürs Wohnen ausgeben muss und wie viel Geld darüber hinaus noch übrig bleibt", zitiert Nicole Eimer aus einer Studie des Paritätischen Gesamtverbands. "Wohnen macht arm", titelt die Studie deshalb provokant. 21,1 Prozent der Bevölkerung sei von "Wohnarmut" betroffen. In den Augen von Nicole Eimer und Katharina Reuschl fasst das auch gut die Erfahrungen der Schuldnerberatungsstelle im vergangenen Jahr zusammen. 2019 haben ihre Klienten im Durchschnitt 25 Prozent ihres Monatseinkommens für Miete aufwenden müssen, 2024 seien es 40 Prozent. Eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist extrem schwer geworden. Dann kämen noch die Hürden von Kaution und Schufa-Auskunft. "Die Wartelisten günstiger Anbieter sind voll." Wenn dann noch jemand einen Kredit zu bedienen habe, werde es schnell eng. Die Beratungsstelle habe es zunehmend mit Menschen zu tun, deren Arbeitseinkommen zum Leben nicht reicht und die auf aufstockende Sozialleistungen angewiesen sind.
Über neun Prozent der Ratsuchenden sind das inzwischen. Oft monatelang die Post nicht mehr geöffnet Oft meldeten sich Schuldner erst in der Beratung, wenn es schon richtig brenzlig ist, sagt Nicole Eimer. Wenn sich viel angestaut hat. "Oft kümmern sich die Leute monatelang nicht mehr um ihre Post, verpassen dadurch Fristen", sagt Katharina Reuschl. Und damit Warnsignale drohender Stromsperrung oder Wohnungskündigung. Wer mit zwei Kaltmieten im Rückstand sei, laufe da schon Gefahr. Deshalb ist das Allererste, was die Sozialpädagoginnen tun, Miete, Strom und Unterhaltszahlungen zu sichern.
Erst dann komme die Schulden-Bestandsaufnahme und ein mit dem Klienten erarbeitetes Konzept, wie man der Verschuldung Herr wird. "Der größte Teil unserer Klienten hat einen sehr hohen Zahlungswillen", sagt Nicole Eimer. Den müsse man oft erst einmal bremsen, denn als Erstes gehe es um die Sicherstellung der Miete. "Es bringt nichts, ein Loch zu stopfen und zwei andere aufzureißen. "Die Fälle werden immer komplexer Viele wüssten gar nicht, dass es ein gesetzlich verbürgtes Recht auf ein Pfändungsschutzkonto gibt, sagt Katharina Reuschl. Und zwar unabhängig davon, ob es schon zu einer Pfändung gekommen ist oder nicht. Es gebe einen nicht pfändbaren Grundfreibetrag, der sich je nach persönlichen Umständen erhöhe. Damit ließen sich vorrangige Dinge wie die Miete schon mal sichern. "Aber man muss sich als Schuldner darum kümmern." Die Beratungsstelle gebe dabei telefonisch kurzfristig Rat. 275 Bescheinigungen für ein Pfändungsschutzkonto sind 2024 ausgestellt worden.Die Fälle, mit denen Nicole Eimer und Katharina Reuschl sowie ihre Kollegen - ein weiterer Sozialpädagoge und eine Bankkauffrau - konfrontiert sind, werden immer komplexer. Oft hätten die Schuldner viele Gläubiger und befänden sich in einer schwierigen persönlichen Lebenslage - gesundheitlich, psychisch, womöglich in einer Scheidung - und wüssten nicht, dass sie neben ihrer Arbeit womöglich Anspruch auf Sozialleistungen haben. Anträge müssten aber an gleich mehrere unterschiedliche Behörden gestellt werden - Wohngeld, Jobcenterleistungen, Unterhaltsvorschuss, Kindergeld, Kinderzuschlag... "Das ist sehr unübersichtlich, sehr bürokratisch mit vielen Einzelanträgen." Immerhin könne man Menschen, die Kinderzuschlag erhalten, sagen, dass sie damit Anspruch auf weitere Bildungs-Leistungen hätten, etwa zur Schulausstattung der Kinder. Teilhabe-Chancen von Kindern sinken erheblich" Verschuldung senkt die Teilhabe-Chancen von Kindern in den betroffenen Familien erheblich", sagt Katharina Reuschl und nennt als Stichworte Freizeitaktivitäten wie Zoo- oder Badbesuch, Kino oder Schulausflug, Geburtstagseinladungen. Der Spruch "fünf Euro hat doch jeder" stimme nicht, versichert sie. Gerade auf die fünf Euro könne es am Monatsende ankommen. "Viele müssen am Essen sparen."
In rund 40 Prozent der Haushalte, die 2024 beraten wurden, lebten Kinder. 13 Prozent waren Alleinerziehende. Die zurzeit laut hörbare pauschale Kritik, Bürgergeldempfänger seien zu faul zum arbeiten, mögen Nicole Eimer und Katharina Reuschl nicht mehr hören. "Die meisten Leute wollen arbeiten, können aber nicht." Und große Sprünge könne man von diesem Geld nicht machen, geschweige denn, wie der Gesetzgeber das vorsehe, etwas für Unvorhergesehenes zurücklegen. Man lebt ständig von der Hand in den Mund. Manchen sei gar nicht bewusst, was sie mit einem Klick im Internet an Verträgen abgeschlossen haben, die dann Kontoabbuchungen zur Folge haben - Abos, Handyverträge und... und... Im Internet und am Telefon seien viele Abzocker unterwegs, warnen die beiden Beraterinnen. Es werde sogar Hilfe angeboten, aus Abzocke-Verträgen wieder herauszukommen. Gegen überhöhte Gebühren. Also wieder eine Abzocker-Falle. Ihr Rat: "Verträge nur schriftlich abschließen." Schuldenfalle durch Ratenkauf und Kredite Zu einer weiteren Schuldenfalle könnten Angebote im Stil von "Kaufe jetzt, zahle später" werden, so ihre Erfahrung. Ratenangebote von Internetanbietern wie Klarna, Payone oder Paypal seien angetan, den Überblick über Ausgaben und Ratenkäufe zu verlieren. Es werde überall offen dafür geworben, sich Konsumwünsche mittels Kredit(karte) einfach zu finanzieren.
"Viele wollen eine Privatinsolvenz, am besten schon vorgestern", sagt Nicole Eimer. Aber erst einmal müsse der Haushalt stabilisiert werden - bestenfalls die Einnahmen erhöht und Ausgaben reduziert. Das könne Monate und manchmal Jahre an Begleitung erfordern .Verbraucherinsolvenz binnen drei Jahren Das Instrument der Verbraucherinsolvenz ist in ihren Augen durchaus attraktiver geworden, seit die Restschuldbefreiung schon in drei statt früher in sechs Jahren eintrete. 172 Verfahren sind 2024 am Amtsgericht eröffnet worden, Tendenz steigend. Dennoch, ein Kinderspiel ist es nicht, mit dem unpfändbaren Anteil des Einkommens Jahre über die Runden zu kommen. Man müsse in der Zeit alle Rechte am pfändbaren Einkommen an den Insolvenzverwalter abtreten und es werde alles verwertet, was zu verwerten ist. Sorgen machen Nicole Eimer und Katharina Reuschl die noch weiter steigenden Wohn- und Lebensmittelkosten bei nicht Schritt haltenden Einkommen, die kritische Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Unsicherheit, wie es mit dem Bürgergeld weitergeht. Kürzungen gebe es bereits jetzt. Und man könne sehr schnell in die Lage kommen, sanktioniert zu werden, wenn man Fristen versäumt. Der Grund sei längst nicht immer Faulheit oder Null Bock. "Oft gibt es nur noch digital, per App, eine Benachrichtigung des Jobcenters. Wenn man die übersieht, ist es schon passiert." Als Bürgergeldempfänger könne man kaum ein Auto halten, das aber wiederum oft Voraussetzung sei, um zur Arbeit zu kommen. Hinzu komme, dass die Schuldenfalle immer schneller zuschnappt, durch verführerische Kauf-Angebote im Internet, Kredit-Angebote, Kreditkarten und überhaupt Kartenzahlung.
Deshalb ist dem Team Prävention ein Anliegen. Schulen können jederzeit Material anfordern. 2025 wird sich die Beratungsstelle am Projekt "Young Finance" beteiligen und jungen Menschen nachhaltigen Umgang mit Geld vermitteln.
Und wie ist ihre Prognose? Die Nachfrage nach Schuldnerberatung wird nicht zurückgehen, im Gegenteil. Viele Menschen plagten Zukunftsängste wegen steigender Preise, steigender Zinsen - auch in Haushalten mit mittleren Einkommen.
Monika Schneider-Stranninger
Straubinger Tagblatt 31.03.2025